Viel gelernt trotz geschlossenem Restaurant

Für viele Lernende in der Gastro-Branche führte die Pandemie zu schwierigen Situationen. Im Restaurant Waldmannsburg in Dübendorf nutzte man die spezielle Situation äusserst kreativ.

Text: Andrea Söldi, Fotos: zvg

Grauer Himmel, zehn Grad und Nieselregen. Die kühle Witterung vermochte an diesem Samstagmittag Anfang Mai nur wenige Gäste auf die Terrasse des Restaurants Waldmannsburg in Dübendorf zu locken. Dennoch sitzen ein paar Wetterfeste in Daunenjacken an den weiss gedeckten Tischen, gewärmt von einem Heizpilz, und lassen sich ihr Cordon bleu oder Zürcher Geschnetzeltes schmecken. Alina De Leonardis schenkt Wein und Wasser nach, fragt nach dem Befinden und reicht dem eben eingetroffenen Paar die Menükarte. Die 19-Jährige steht kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung als Restaurationsfachfrau. Nur einige Monate zuvor befand sie sich jedoch in einer äusserst unsicheren Lage. Begonnen hatte sie die dreijährige Lehre nämlich im Hotel Ascot in Zürich. Wegen der Corona-Pandemie musste der renommierte Betrieb im August Konkurs anmelden. «Wir hatten erst zwei Tage vorher davon erfahren und mussten nun plötzlich alles räumen», erzählt De Leonardis rückblickend. «Es war eine beängstigende Situation.»

Die junge Frau aus Volketswil hatte Glück. Nach einem Anruf im Restaurant Waldmannsburg erhielt sie die Zusage, ihre Ausbildung hier beenden zu können. Doch kaum hatte sie sich eingearbeitet, kam der zweite Lockdown: Kurz vor Weihnachten mussten alle Restaurants schliessen. Dennoch liess sich das Team nicht entmutigen. Die Ausbildenden setzten sich mit den Lernenden zusammen und erarbeiteten gemeinsam mit ihnen Ideen, wie die Zeit ohne Gäste sinnvoll genutzt werden könnte: Take-away, ein Foodtruck oder ein Marktstand? Schliesslich fiel die Wahl auf einen Laden mit selbst hergestellten Produkten – das «Burg-Lädeli» war geboren.

7 Personen mit Corona-Schutzmaske und Service-Tenü stehen in einem Wirtshaussaal
Im Restaurant Waldmannsburg in Dübendorf nutzten die Lernenden die Coronapandemie zur Entwicklung und Umsetzung kreativer Ideen. Quelle: Foto zvg

Engagement für Lernende

«Ausbilden ist unsere Leidenschaft», sagt Fabian Aegerter, der das Familienunternehmen zusammen mit dem nahen Restaurant Geeren in Gockhausen in zweiter Generation führt. Die beiden Betriebe beschäftigen 50 Mitarbeitende und bilden in der «Waldmannsburg» sechs Lernende aus – je drei in der Küche und im Service. «Wir fühlen uns verpflichtet, die Lernenden auch in schwierigen Zeiten bis an ihr Ziel zu begleiten», betont Aegerter. Kostendeckend sei das Lehrlingsprojekt natürlich nicht gewesen. Doch der Betrieb stehe zum Glück solide da. «Es ist extrem viel positive Energie entstanden. Die aussergewöhnlichen Umstände haben uns zusammengeschweisst.»

Während die angehenden Köchinnen emsig gebrannte Mandeln, Konfitüren, Salatsaucen, Chutneys und Glacé produzierten, kümmerten sich die angehenden Service-Fachfrauen um ansprechende Verpackungen und das Marketing. Sie machten in den sozialen Medien auf ihr Angebot aufmerksam und verteilten Flyer mit Schokolade am Bahnhof. Gefordert waren die Lernenden auch mit der Kalkulation der Preise. Zum Beispiel kamen sie zum Schluss, dass ein Salatdressing mit einem hochwertigen Öl so viel kosten würde, dass es kaum mehr verkäuflich wäre.

Mit der Zeit entwickelten sie immer mehr Ideen: Der Laden, der vor allem von Spaziergängern aufgesucht wurde, füllte sich mit selbst hergestellten Teigwaren, Apéro-Gebäck, Sonntagszöpfen, selbst geräucherten Würsten, Lachs und Speck sowie Süssgetränken. Die Lernenden organisierten eine Schnitzeljagd für Familien, die ihren Anfang und ihr Ende selbstverständlich im «Burg-Lädeli» hatte und damit eine verkaufsfördernde Wirkung entwickelte. Als es klirrend kalt war und Schnee lag, kochten sie Glühwein und Punsch. Und als die Tage wieder länger und sonniger wurden, boten sie Apéro- Drinks an und kochten ganze Mahlzeiten zum Mitnehmen.

Zeit für spezielle Techniken

«Es war super, dass wir so viel ausprobieren konnten», sagt Claudia Brühlmann, Köchin im zweiten Lehrjahr. Normalerweise werde Techniken wie Räuchern, Fermentieren oder Einmachen in der Ausbildung nicht viel Platz eingeräumt. Die 17-Jährige übernahm als Älteste unter den «Stiften» die Führung und leitete ihre jüngeren Kolleginnen an. «Das war eine lehrreiche Erfahrung», betont sie. Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der Berufsfachschule seien während des Lockdowns grösstenteils zu Hause gesessen, erzählt sie. Derweil verbrachten die Lernenden der «Waldmannsburg» vier Tage pro Woche im Betrieb, betreut von ihren Berufsbildnern. Claudia Brühlmann, die gleichzeitig die Berufsmaturität macht, war aber auch froh, dass sie Zeit zum Lernen des Schulstoffs hatte. «Ich fühle mich gut vorbereitet auf die Zwischenmatur diesen Sommer.»

Auch Shania Oesch, die im ersten Lehrjahr Köchin lernt, konnte von der aussergewöhnlichen Situation profitieren. «Ich habe gelernt, wie man Glacé mit flüssigem Stickstoff herstellt», sagt die 16-Jährige, die schon immer gerne gekocht hat. «Vielleicht kann ich das später mal gut gebrauchen.» Zudem habe sie jetzt, da die Bewirtung im Freien wieder möglich ist, mehr Verantwortung übernehmen können. «Heute bin ich ganz allein für die Beilagen und das Gemüse zuständig», erzählt sie stolz. Ihre gleichaltrige Kollegin Anina Meier engagierte sich bei der Gestaltung des «Burg-Lädeli» und der Vermarktung der Produkte. Und manchmal habe auch sie einen Fuss in die Küche gesetzt, sagt die angehende Restaurationsfachfrau. «Ich habe beim Einkochen von Ingwer-Sirup mitgeholfen.»

Auf zwei rustikalen Brättli werden kulinarische Spezialitäten präsentiert. Im Hintergrund eine Tafel, drauf steht «Burg Lädeli»
Im "Burg-Lädeli" boten die Lernenden im Restaurant Waldmannsburg Selbstgemachtes aus der Küche zum Verkauf an. Quelle: Foto zvg

Selbst organisierte Schulungen

Besonders lehrreich waren für die jungen Leute auch die thematischen Schulungen, die sie selber organisierten. Alina De Leonardis erarbeitete zum Beispiel einen Vortrag über Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie etwa Gluten- Intoleranz. Bei der Recherche erwarb sie Kenntnisse, die für sie auch später im Service-Alltag nützlich sind: Immer häufiger fragen Gäste nach Inhaltsstoffen der verwendeten Nahrungsmittel. Auch der Input über Spirituosen habe ihr viel gebracht, meint sie.

Nur das Aufdecken der Tische kam in dieser Zeit etwas zu kurz. Die Lernende übte es immer wieder in einem separaten Raum, um bei der bevorstehenden Abschlussprüfung die korrekte Anordnung des Gedecks auch unter Zeitdruck zu schaffen. Demnächst wird sie ihre Familie einladen und einen Probelauf durchführen.

Sobald sich die Frühlingssonne durchsetzt, werden die Lernenden sowieso wieder genügend Gelegenheiten erhalten, ihre Fertigkeiten in realen Alltagssituationen zu üben. Denn die einladende Gartenwirtschaft unter den alten Platanen sowie die Schlossterrasse sind an schönen Tagen stets gut besetzt und Gesellschaften finden im Garten einen idyllischen Ort für Apéros. So wird es wohl demnächst wieder betriebsamer zu- und hergehen.

An diesem trübkalten Maitag hingegen hat Alina De Leonardis genügend Zeit, alle Gäste aufmerksam zu bedienen. Sie weist auf das Tagesmenü hin, erklärt geduldig die Zusammensetzung des Saisonsalats und empfiehlt auf die Frage nach einem fleischlosen Menü das rote Vegi-Curry. Schnell gibt sie die Bestellung an die Küche weiter, wo sich ihre Kollegin Claudia Brühlmann sofort an die Zubereitung macht. Nach kurzer Wartezeit serviert sie die hübsch angerichtete Vorspeise mit bissfesten Spargeln, knackigen Radieschen und Himbeerdressing und wünscht: «En Guete!»

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