Sich auf die eigenen Möglichkeiten besinnen

Die monatelangen Restaurantschliessungen verunsicherten viele Lernende in der Gastro-Branche. Das bekam die Allgemeine Berufsschule Zürich zu spüren und stellte deshalb ein Förderkursprogramm zusammen. Darin engagierten sich Lehrpersonen gemeinsam mit Berufsbildnern, um die Jugendlichen aufzufangen.

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Text: Jacqueline Olivier, Fotos: Hannes Heinzer

Wer den Weg zur Schulküche im Untergeschoss der Allgemeinen Berufsschule Zürich (ABZ) finden will, verlässt sich am besten auf Ohr und Nase. Das Scheppern von Töpfen und Pfannen, das Surren von Handmixern und das Stakkato von hackenden Messern auf Schneidebrettern weisen den Weg. Auch zieht ein unverkennbarer Duft durch den langen Korridor – nach gebratenem Fleisch, gedünstetem Gemüse und einem Hauch von Vanille.

Mitten in den Frühlingsferien herrscht hier unten an diesem Vormittag Ende April Hochbetrieb. Acht junge Leute im professionellen Arbeitstenü der Köche sind hochkonzentriert am Werk, schnipseln, pürieren, rühren und brutzeln. Es sind lernende Küchenangestellte, die sich mit einem letzten Probelauf auf ihr Qualifikationsverfahren (QV) für das eidgenössische Berufsattest (EBA) vorbereiten.

Die Möglichkeit einer solchen Generalprobe bietet die ABZ den EBA-Lernenden jedes Jahr an – unabhängig von Corona. Doch infolge der Pandemie hat man das freiwillige Kursangebot für die Absolventinnen und Absolventen einer zweijährigen Lehre im Gastronomiebereich ausgebaut. Und parallel dazu Kurse für Lernende der dreijährigen Grundbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) auf die Beine gestellt.

Grösserer Betreuungsaufwand

Die Initiative ergriffen hatte ein Ausbildungsverantwortlicher, der mit seinem Anliegen, etwas für die von der Krise besonders betroffenen Lernenden zu tun, an die ABZ herantrat. Dort nahm man den Ball noch so gerne auf. «Im Moment geht es darum, alles zu unternehmen, damit unsere Lernenden in dieser schwierigen Zeit eine Perspektive haben», sagt Rektorin Meta Studinger. «Die Jugendlichen dürfen wegen Corona keine Nachteile erfahren.»

Die ABZ ist die einzige Schule im Kanton für Lernende der Gastronomie und der Hotellerie, Schulleitung und Lehrpersonen wissen also, wie arg es die Branche zurzeit durchschüttelt. Und sie spüren, wie wichtig der Lernort Schule deshalb für die jungen Leute ist. «Der Betreuungsaufwand ist grösser geworden», stellt Regina Brunner, Prorektorin und Abteilungsleiterin Gastronomie und Hotellerie, fest, «die Lernenden kommen mit ganz anderen Fragen auf uns zu.» Viele verlören in dieser Krise Sicherheit und Halt. Das Fehlen eines strukturierten Tagesablaufs, vermehrte Konflikte zu Hause, weil man infolge von Homeoffice und Lockdown enger zusammenrücken müsse, die Angst um Lehrstelle und Zukunft seien nur einige der Probleme, die die Lernenden in dieser Zeit beschäftigten. Jenen, die während der monatelangen Schliessung der Restaurants nicht arbeiten konnten, fehlten die Kontakte und der Austausch im Betrieb, ergänzt Meta Studinger, die Lehrerinnen und Lehrer seien folglich als Ansprechpersonen verstärkt gefordert. «Darum ist uns der Präsenzunterricht in den Gastro-Klassen so wichtig, gerade den Schwächeren unter den Lernenden gibt er Boden unter den Füssen.»

Ein junger Mann mit Kopfbedeckung richtet konzentriert ein Menü an auf dem Teller
Das Ausbildungszentrum Zürich (ABZ) organisierte während der Coronapandemie freiwillige Kurs für angehende Köchinnen und Köche. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Alternative Übungsmöglichkeiten

Den Lehrpersonen windet die Rektorin denn auch ein grosses Kränzchen. «Sie haben in den vergangenen Monaten viel geleistet – sowohl im Unterricht als auch in den zusätzlichen Förderkursen.» Viele hätten sehr schnell nach dem Lockdown damit begonnen, die praktischen Sequenzen im Unterricht auszubauen, um die Jugendlichen etwas aufzufangen. Und die Fachgruppenleitenden seien sofort bereit gewesen, ergänzende Kurse und Angebote zu installieren.

Auch viele Berufsbildnerinnen und Berufsbildner hätten sich ins Zeug gelegt, um mit den Lernenden in Kontakt zu bleiben und ihnen Übungsmöglichkeiten zu bieten, sagt Regina Brunner. Einige arbeiteten ausserdem an der Schule gemeinsam mit den Lehrpersonen in den freiwilligen Kursen zusammen oder hätten trotz eigener Sorgen um ihre berufliche Existenz selbst Projekte ins Leben gerufen, um ihren Lernenden Praxiserfahrungen in anderer Form zu ermöglichen.

Die Sorgen in der Branche dürften vorerst andauern. Am 19. April konnte die Aussengastronomie zwar wieder öffnen, doch das seither mehrheitlich nasskalte Wetter spielt den Gastwirten nicht in die Karten. Zudem verfügt nicht jedes Restaurant über einen Garten oder eine Terrasse. Und für die Lernenden sei die fehlende Praxis der vergangenen Monate so kurz vor der Abschlussprüfung nicht mehr so einfach aufzuholen, erklärt die Rektorin. «Sie sind deshalb dankbar, kostenlos weitere Kurse besuchen zu dürfen.»

Neben den acht Lernenden, die heute in der Schulküche der ABZ aktiv sind, besuchten gestern sechs den gleichen Kurs. Insgesamt ein Drittel aller Küchenangestellten, die demnächst das QV absolvieren werden. «Wir arbeiten in kleinen Gruppen», sagt Meta Studinger, «so können die Lernenden optimal gefördert werden.» Dabei ist das Angebot der ABZ nicht das einzige. Im Ausbildungszentrum Wädenswil wurde von den Zürcher Branchenverbänden und dem Kanton Zürich das Kursprogramm «Gastro Porto» eingerichtet – ebenfalls in kurzer Zeit und mit viel Elan, wie Meta Studinger betont. Die ABZ hat dort eine digitale Plattform für Fragen der Lernenden zum QV aufgebaut und betreut.

An der Schule hat man noch auf einer anderen Ebene auf die Krise reagiert: Um auf die vermehrten privaten oder psychischen Probleme der Lernenden eingehen zu können, wurde neben dem bereits bestehenden internen Beratungsangebot SOS ABZ, das von einer Gruppe Lehrpersonen betrieben wird, die Fachstelle Kabel ins Haus geholt. Seither wechseln sich zwei Sozialarbeiter in den vormittäglichen Sprechstunden ab, zu den übrigen Zeiten sind sie telefonisch oder per Mail erreichbar. Eine solche Anlaufstelle sei für Lernende in besonders schwierigen Situationen eine grosse Hilfe, gleichzeitig bedeute sie eine Entlastung für die Lehrpersonen, die aber nach wie vor die ersten Kontaktpersonen seien für ihre Schülerinnen und Schüler.

Detailliertes Protokoll

Mittlerweile ist der Geruch aus der Küche intensiver geworden, die Geräuschkulisse lauter. Die Anspannung ist gestiegen, die Lernenden eilen vermehrt hastig zwischen Herd und Ofen hin und her oder rennen, wenn sie am anderen Ende des Raums noch ein Gewürz oder ein Küchenutensil holen müssen. Eine junge Frau flambiert gerade das Fleisch in der Pfanne und weicht im ersten Moment erschrocken zurück vor der selbst entfachten Stichflamme. Schräg hinter ihr kratzt ein junger Mann an seinem Arbeitstisch die Samen aus einer Vanillestange. Nicht mehr lange, und die Vorspeise muss «geschickt » werden – so heisst es im Fachjargon, wenn der fertig angerichtete Teller die Küche verlässt und zum Gast an den Tisch gebracht wird.

Heute sind die Kursleiter, die beiden Fachlehrer Roland Menzi und Andrea Hanselmann, die Gäste. Sie haben bereits die Arbeit der Lernenden beobachtet, ihnen aber auch noch einmal den einen oder anderen Kunstgriff gezeigt. Nun begutachten sie die Speisen optisch, fotografieren und probieren sie. Alle ihre Eindrücke halten sie in einem detaillierten Protokoll mit Bildern zu jedem Arbeitsschritt fest. Diese Dokumentation soll den Lernenden aufzeigen, was sie beherrschen, woran sie noch arbeiten oder worauf sie an der Prüfung besonders achten sollten. «Die Unterschiede zwischen den Lernenden sind gross», sagt Roland Menzi, «die einen haben seit Mitte Dezember nicht mehr gearbeitet, andere sind von ihren Berufsbildnern regelmässig zum Kochen in den Betrieb geholt worden.» Nicht wenige EBA-Lernende arbeiten in Spital- oder Heimküchen und waren vom Lockdown nicht betroffen. Teilnehmen dürfen sie an den Kursen natürlich trotzdem. Jeden und jede müsse man nun individuell auffangen. «Wir möchten den Lernenden darüber hinaus auch ein Erfolgserlebnis ermöglichen», fügt Andrea Hanselmann hinzu, «damit sie motiviert ans QV gehen können.»

Eine junge Frau mit Schürze richtet konzentriert ein Gericht an auf einem Teller
Zur Ausbildung der angehenden Köchinnen und Köche gehört auch die Präsentation der Gerichte auf dem Teller. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Wieder Küchenluft atmen

Zwei Tage später sind am selben Ort zwölf angehende Köchinnen und Köche EFZ zugange. Auch sie wollen sich probehalber noch einmal den Herausforderungen stellen, die sie am Qualifikationsverfahren erwarten. Seit letztem Herbst haben sie auf Basis der vorgegebenen Warenkörbe drei Gerichte eines Fünf-Gang-Menüs – kalte Vorspeise, Suppe und ein Fischgericht – kreiert, die Abläufe minutiös geplant und das Resultat laufend verfeinert. Das ist ihre Kür. Der Hauptgang und das Dessert bilden den Pflichtteil, sie müssen genauen Vorgaben entsprechen.

In den ersten Kursen, erzählt Fachgruppenleiter Marcel Merlo, habe man sich diesen Pflichtgerichten gewidmet, um sich danach den drei «Warenkorb-Gerichten», wie die offizielle Bezeichnung lautet, zuzuwenden. «Viele Lernende nutzten die Chance und besuchten möglichst alle Kurse. Es ist schön, die Fortschritte zu sehen, die sie in dieser Zeit gemacht haben.» Die jungen Leute seien dankbar gewesen für das Angebot der Schule. «Zu Beginn sagten mir einige, es sei gut, wieder einmal Küchenluft zu atmen. » Auch im Unterricht merke er, wie gern die Lernenden in die Schule kämen. Am deutlichsten sei dies nach dem ersten Lockdown im Frühling 2020 zu spüren gewesen, von dem auch die Schulen der Sekundarstufe II drei Monate lang betroffen waren. «Gleichzeitig war es nach dieser langen Zeit teilweise schwierig, die Jugendlichen abzuholen.»

Neben Marcel Merlo sind an diesem Nachmittag auch zwei Berufsbildner in der Küche im Einsatz. Ein dritter leitet den Kurs. Er sei eingesprungen, sagt Thomas Bissegger. Das Restaurant, in dem er bislang arbeitete, hat vor Kurzem den Betrieb eingestellt; nun habe er Zeit. Zudem hat er Erfahrung in der Ausbildung und ist als Experte an Prüfungen in der höheren Berufsbildung tätig. Und er findet das Engagement der ABZ schlicht unterstützenswert. Trotzdem meint er: «Die fehlende Praxis der Lernenden in diesen Kursen vollständig aufzuholen, ist kaum möglich. Aber gerade jene, die nun abschliessen, können eine gewisse Routine und Selbstsicherheit erlangen.»

Ein junger Mann in Koch-Montur trägt zwei Teller mit schön angerichtetem Essen durch eine Grossküche
Andrew Sui Zong Theos Lehrbetrieb war seit Mitte Dezember geschlossen. Seither konnte er einmal pro Monat mit seinem Berufsbildner probekochen. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Unterstützung bei Stellensuche

Doch wie geht es für die jungen Leute weiter? Für ABZ-Rektorin Meta Studinger ist klar, dass selbst die sehnsüchtig erwartete Wiedereröffnung der Gastronomie nicht ohne Anschlussprobleme vonstattengehen wird. Da sind zum einen die Schutzmassnahmen, die eine Reduktion der Gästezahlen zur Folge haben, zum anderen bleibt die epidemiologische Lage ungewiss, ist Planbarkeit nach wie vor nicht gegeben. Auch die Schule bekommt die angespannte Situation in der Branche zu spüren: «Im kommenden Schuljahr werden wir, wenn man von den aktuellen Anmeldezahlen ausgeht, merklich weniger Lernende im Bereich Gastronomie haben.» Die Zahl der Lehrstellen sei zwar intakt, aber die Rekrutierung in dieser Branche gestalte sich momentan schwierig. Die Rektorin ist dennoch zuversichtlich, dass sich das Gastgewerbe wieder erholen werde, wenn die Pandemie überwunden sei. «Es handelt sich um eine aktive und innovative Branche.» Inzwischen plant die Schulleitung bereits ein weiteres Kursangebot für EBA-Lernende nach dem QV, die noch keine Anschlusslösung haben. «Wir werden sie bei der Stellensuche und bei den Bewerbungen unterstützen. Viele EBA-Lernende haben nicht die nötigen Ressourcen, sich gleichzeitig auf die Prüfungen vorzubereiten und eine Stelle zu finden.»

Das eine oder andere von dem, was man in den letzten Monaten der Not gehorchend an Förderangeboten aufgebaut hat, möchte Meta Studinger nach Corona beibehalten, in anderer Form vielleicht oder mit gewissen Anpassungen. «Zurzeit besinnen wir uns vermehrt auf unsere eigenen Möglichkeiten», sagt sie, «weil wir es müssen. Ich sehe darin aber durchaus einen Gewinn der Krise.»

Drei Lernende erzählen

Kristian Cebic lernt Koch in einer Firmenkantine. Dort wurde das Angebot infolge des ersten Lockdowns und der Verschiebung eines Grossteils der Mitarbeitenden ins Homeoffice auf kalte Küche reduziert. «Ich konnte nur noch Salate und Sandwiches zubereiten», erzählt der junge Mann. Im November durfte er ins Restaurant Waldmannsburg in Dübendorf wechseln, wo er am Projekt «Burg- Lädeli» teilnahm (siehe Artikel Seite 26). Seit Ende März ist er zurück in seinem Lehrbetrieb. Daneben besuchte er alle freiwilligen Kurse an der ABZ und zwei am Ausbildungszentrum Wädenswil. Er fühle sich nun viel sicherer im Hinblick auf das Qualifikationsverfahren, sagt er. Froh ist er auch, dass er im Betrieb bleiben kann, bis die Rekrutenschule beginnt. Anschliessend möchte er ein oder zwei Jahre À-la-carte-Erfahrungen sammeln in einem Restaurant.

So weit voraus plant Léonie Pierson noch nicht. Sie habe in ihrem Lehrbetrieb keinerlei Möglichkeiten gehabt, um zu arbeiten, sagt sie, die sich ebenfalls auf das EFZ vorbereitet. «Und ich bin immer noch in Kurzarbeit.» Zu Hause zu üben, sei für sie finanziell schwierig, sie wohne nicht mehr bei den Eltern. Einmal war sie schon in Wädenswil, heute hat sie am letzten Kurs an der ABZ teilgenommen. «Einige Gerichte habe ich heute das erste Mal gekocht und gesehen, wie lange ich wofür brauche.» Dennoch hat sie Angst vor dem Arbeitstempo an der Prüfung. «Mir fehlt total die Routine.» Ihr Chef habe ihr nun aber zugesichert, mit ihr noch einmal «alles durchzukochen».

Andrew Sui Zong Theos Lehrbetrieb ist seit Mitte Dezember geschlossen. Seither konnte er einmal pro Monat in der Restaurantküche mit seinem Berufsbildner probekochen. «Am Anfang fand ich es noch cool, nicht arbeiten zu müssen, aber mit der Zeit wurde es langweilig.» Weil Kochen seine Leidenschaft ist, hat der EBA-Lernende stattdessen jeden Tag seine Familie zu Hause mit seinem kulinarischen Können beglückt. Zudem hat er sämtliche möglichen Kurse an der ABZ besucht. Darum ist er überzeugt, das QV «ganz gut zu schaffen. Ich muss nur noch etwas besser planen.» Und er weiss auch schon, wie es danach für ihn weitergeht: mit der verkürzten EFZ-Lehre in seinem Lehrbetrieb.

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