Rückenwind verleiht Selbstbewusstsein

Im Sozialprojekt Fly leisten Jugendliche regelmässige Einsätze in einem Kindergarten, einem Hort oder einer Primarklasse. Dadurch werden ihre sozialen Kompetenzen und ihr Selbstwertgefühl gestärkt.

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Fröhliche Kinderstimmen weisen der ortsunkundigen Journalistin nach den Herbstferien den Weg zum Kindergarten Bergli in Bülach. Auf dem Pausenplatz herrscht reges Treiben: da wird mit einem Stecklein hantiert, dort ist eine kleine Rangelei im Gange. Aufmerksam verfolgen die Kindergartenlehrperson Eliane Welz und die 3.-Sek-Schülerin Dea Berisha die diversen Aktivitäten. Später macht sich Dea auch im Kindergarten nützlich, hilft den Kleinen in der Garderobe und beim Spielen. Dass die 15-jährige Dea Berisha Eliane Welz jeweils am Mittwochmorgen im Kindergarten unterstützt und nicht den regulären Unterricht in der Sekundarschule Hinterbirch besucht, verdankt sie dem Verein «Fly mit Rückenwind» und seinem Sozialprojekt Fly. Das Projekt soll junge Menschen in der Entwicklung von sozialen Kompetenzen unterstützen, indem die Jugendlichen während eines Schuljahres einmal pro Woche für zwei oder mehr Lektionen in einer Partnerklasse (Kindergarten/ Unterstufe) helfen.
Dank der langen Dauer des Projekts lernen sie den Alltag der Partnerklasse kennen, wachsen in Aufgaben hinein, können Verantwortung übernehmen, eigene Initiativen entwickeln und so ihrem Selbstbewusstsein Rückenwind verleihen. Die Sekundarschule Hinterbirch ist eine von drei Schulen aus dem Kanton Zürich, die ins Fly-Projekt involviert sind, schweizweit sind es 14. In Bülach begannen im Schuljahr 19/20 die Vorarbeiten, im Februar 21 startete Dea Berisha mit ihren Einsätzen. Sie ist somit eine der ersten Bülacher Schülerinnen, die Fly- Erfahrungen sammeln. Verantwortlich dafür ist Alexandra Michel, Heilpädagogin an der Sekundarschule Hinterbirch. Zusammen mit Lehrerin Sibylle Schmid bildet sie das Fly-Projektteam an der Sek Hinterbirch.

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Sekschülerin Dea Berisha steht einmal pro Woche im Fly-Einsatz im Kindergarten Bergli in Bülach. Quelle: Foto von Stephan Rappo

Gemäss Schmid ist das Fly-Projekt in Bülach leider noch nicht so richtig in Fahrt gekommen. «Corona bremst es etwas und sorgt immer wieder für Unterbrüche. Wir sind jedoch überzeugt, dass das Projekt allen Beteiligten etwas bringt – den Kleinen und den Grossen.» Unsichere Jugendliche könne es stärken, anderen helfe es, ihre Sozialkompetenzen weiterzuentwickeln. «Und wieder andere nutzen die Chance, um Erfahrungen für die Berufswahl zu sammeln.» Letzteres ist Dea Berisha am wichtigsten.
An diesem Morgen macht Schmid mit ihrem iPad Aufnahmen von Dea. Zu einem späteren Zeitpunkt wird sie diese mit ihr dann im Videocoaching auf der Grundlage der Marte-Meo-Methode anschauen. Analysiert werden bei dieser Methode nur die Szenen, in denen etwas gut gelungen ist. «Es geht darum, das Positive hervorzuheben. Bei Dea merkt man sofort, dass sie einfach gern mit Kindern arbeitet », sagt Schmid. «Dea hat eine Ruhe, kann auch Dinge einfordern, ist bestimmt, aber immer freundlich», sagt Schmid. «Sie ist extrem gut und auch schon recht selbstbewusst.»

Chance ergreifen

Mit zunehmender Anzahl an Fly-Einsätzen fühlte sich Dea im Kiga wohler, was auch ihre Sicherheit im Umgang mit den Kindern verstärkt hat. Als Dea von der Heilpädagogin der Klasse, Alexandra Michel, über dieses Projekt informiert wurde, war sie begeistert, eine solche Chance zu bekommen.
Dea sagte sofort Ja, da sie die Möglichkeit sah, mit Kindern zusammen zu sein. «Ich mag Kinder wahnsinnig gerne», begründet Dea ihre Teilnahme am Projekt. «Es macht mir Spass mit ihnen. Die Kinder geben mir Kraft und ich vergesse meine Sorgen.»
Deshalb freut sie sich jeweils sehr auf den Kindergarteneinsatz. Begonnen hat sie im Februar, dann gab es einen Unterbruch wegen Corona. So richtig los ging es dann nach den Sommerferien. Seither konnte sie zu den Kindern ein Vertrauensverhältnis aufbauen und ist in den Kindergartenalltag bestens integriert. So bitten sie einzelne Kinder nach der Pause in der Garderobe ganz selbstverständlich um Hilfe, wenn beispielsweise ein Reissverschluss klemmt, die Schuhe nicht so recht von den Füssen wollen oder sich ein Schal verheddert.
Der Aufwand, Dea in den Kindergartenalltag zu integrieren, ist für Eliane Welz «nicht sehr gross», sagt sie. Natürlich müsse sie bei der Vorbereitung überlegen: Wo kann ich Dea einsetzen, wo braucht es allenfalls Hilfe?

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Die Kinder geniessen das regelmässige Zusammensein mit der Fly-Schülerin. Quelle: Foto von Stephan Rappo

Welz schätzt die Anwesenheit und die Assistenz von Dea Berisha. «Auch wenn Dea keine pädagogischen Aufgaben übernehmen darf, wirkt sich ihre Anwesenheit positiv auf den Kindergartenalltag aus.» Bei Streitereien helfe sie oft, die Situation zu entspannen. «Und mittlerweile freuen sich die Kinder sehr auf Dea, gehen auf sie zu und geniessen die zusätzliche Aufmerksamkeit, die Unterstützung beim Spielen, das Spielen mit ihr», sagt Welz.
Gespielt wird an diesem Morgen beispielsweise ein Würfelspiel. Dea sitzt mit einem Mädchen und einem Knaben an einem Tischchen. Der eine Würfel zeigt eine geometrische Form an, der andere eine Farbe. Nun gilt es, mit dem richtigen «Puzzle»-Teilchen die entsprechende Lücke zu füllen. Bei allzu fragenden Blicken gibt Dea bisweilen mit dem Zeigefinger einen kleinen Lösungshinweis.
Willkommen sind Deas Tipps und Aufmerksamkeit auch am Tisch, wo eifrig gezeichnet wird. Das eine Kind kreiert nach eigenen Worten ein tolles «Chribbelchrabbel », ein anderes ist überzeugt, dass ein Kreuz «bubieinfach» ist. Ein drittes fragt Dea, ob sie ein Einhorn zeichnen könne. «Das ist schon etwas schwierig», meint sie. «Dann musst du im Kopf eine Anleitung besorgen», lautet der schlagfertige Rat.

Gang zur Toilette koordinieren

Keine Anleitung braucht es, wenn jemand während eines Spiels auf die Toilette muss. Wenn jedoch gleich mehrere miteinander plötzlich das «stille Örtchen» aufsuchen wollen, sagt Dea bestimmt: «Wartet, bis das Gspänli wieder zurück ist.» Und dann ist das drängende Bedürfnis gar kein Thema mehr. Denn mit Gesang und weiteren Aktivitäten fliegt der Vormittag nur so vorbei.
Schon ist es Zeit, um im Kreis das Abschlusslied zu singen. Einige singen sogar noch in der Garderobe «jetz gömmer hei, rucki zucki jupi jupi je» und lassen sich von Dea in die Kleider helfen und verabschieden sich von ihr.
Als alle Kinder weg sind, fährt auch Dea auf ihrem Scooter davon. Und freut sich bereits auf ihren nächsten Einsatz im Kindergarten Bergli. Sie erhält – wie alle Jugendlichen – am Ende ihres Einsatzes ein Zertifikat, das sie beispielsweise Bewerbungsschreiben beilegen kann. Dea hat sich bereits um eine Lehrstelle als FaGe und als FaBe beworben. «Die FaBe- Lehrstelle würde ich natürlich bevorzugen», gibt sie unumwunden zu.

Text: Marianne Koller, Fotos: Stephan Rappo

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Das Sozialprojekt Fly des Vereins «Fly mit Rückenwind» ist ein Angebot für die Sekundarstufe I und Schulen des 10. Schuljahres. Das Projekt soll junge Menschen in der Entwicklung von sozialen Kompetenzen unterstützen. Es leistet einen Beitrag zu den überfachlichen Kompetenzen, die im Lehrplan 21 beschrieben sind. Es kann bisweilen mithelfen, eine schwierige Schul- oder Lebenssituation von Jugendlichen zu entspannen.
Die Jugendlichen helfen während eines Schuljahres einmal pro Woche für zwei oder mehr Lektionen in einer Partnerklasse (Kindergarten/Unterstufe) mit. Dank der langen Dauer des Projekts können sich zwischen den Jugendlichen und den jüngeren Kindern tragende Beziehungen entwickeln. Die Jugendlichen lernen den Alltag der Partnerklasse kennen, wachsen in Aufgaben hinein, können Verantwortung übernehmen und eigene Initiativen entwickeln.
Fly ist so konzipiert, dass es als Angebot der Schule grundsätzlich allen Jugendlichen offensteht. Es sollen aber auch gezielt junge Menschen mit besonderen Bedürfnissen (Verhaltensauffälligkeiten, Schulproblemen) am Projekt teilnehmen. Eine Projektleitung aus dem Schulhaus koordiniert das Projekt, begleitet die Jugendlichen und ist Ansprechperson für die Partnerlehrpersonen. Ein wichtiges Element ist auch das Videocoaching. Die Projektleitung filmt die Jugendlichen mehrmals und nimmt mit ihnen eine Auswertung vor. Besprochen werden nur Szenen, in denen etwas gut gelingt. Dadurch sollen die Jugendlichen in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt werden.
Der Verein «Fly mit Rückenwind» ist in Biel zu Hause. Mittlerweile sind über ein Dutzend Schulen an dem Projekt beteiligt (oder haben ihr Interesse bekundet). Aus dem Kanton Zürich sind es die Schule Rychenberg (Winterthur), die Sekundarschule Hinterbirch (Bülach) und die Schule Albisriederplatz (Stadt Zürich).

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