Das Brückenangebot für Kreative

Lehrstellen im gestalterisch-kreativen Berufsfeld sind rar und gefragt. In den Ateliers für Grafik und Mode des Vereins Impulsis arbeiten Jugendliche praktisch, schliessen schulische Lücken und verbessern ihre Bewerbungsunterlagen. Und sie lernen, dass es valable Alternativen zum Traumberuf gibt.

Was haben die Korporation Pfäffikon, das Schweizerische Zentrum für Epilepsie und das Taxi 444 gemeinsam? Sie sind alle Kunden von Impulsis Kreativ, zwei Kleinunternehmen des Vereins Impulsis. Das Grafikatelier gestaltete für die Korporation Pfäffikon die Website, Broschüren, Multimediapräsentationen und Filme, im Restaurant des Zentrums für Epilepsie bedienen die Serviceangestellten in Schürzen, die im Modeatelier entworfen und gefertigt wurden, und auch das schwarz-gelbe Logo von Taxi 444 wurde im kreativen Treibhaus im Kreis 5 ersonnen und designt.

An einer Reihe von Pulten sitzen junge Männer und Frauen vor Bildschirmen, zwischen Plexiglasplatten und mit Hygienemasken vor dem Gesicht. Es herrscht konzentrierte Stille. Michel Wild, der Leiter der Impulsis-Ateliers, überblickt von seinem Arbeitsplatz aus den Raum. «Ich übernehme hier die Vorgesetztenrolle», sagt er. «Die Jugendlichen sollen möglichst realistische Arbeitssituationen kennenlernen. » Dazu gehört die Arbeit im Team, aber auch, dass sie echte Kundenaufträge bearbeiten – mit allem, was dazugehört. Zum Beispiel die Erfahrung, dass die eigene Idee für ein Logo nicht auf Anklang stösst. Und das Gegenteil: dass der Kunde einen Vorschlag gut findet und man zu jenen gehört, die am Auftrag weiterarbeiten dürfen. Oft läuft der Kontakt zu den Auftraggebern über die Atelierleiter, immer wieder sind die Jugendlichen aber bei Sitzungen mit Kunden dabei und können ihre Arbeiten selbst präsentieren. Im besten Fall steht am Schluss die Befriedigung darüber, dass die mitgestaltete Website aufgeschaltet oder das Briefpapier mit dem selbst entworfenen Logo ausgeliefert wird.

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Im Modeatelier wird Robert Schori von Christine Sparano-Spiess unterstützt. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Lernprozess dokumentieren

Wie in der Arbeitswelt finden Standortgespräche statt, in denen Bilanz gezogen wird. Wurden die vereinbarten Vorgaben erreicht? Welche neuen Ziele werden auf dem langen Streifen Papier notiert, der immer auf dem Pult der Jugendlichen liegt? Im Bereich Grafik reichen die Ziele vom Beherrschen der wichtigsten Anwenderprogramme über Kenntnisse in Farbenlehre und Typografie bis zum Wissen um Methoden, um Ideen zu finden. Den Lernprozess dokumentieren die Teilnehmenden in einem Heft, das mit «Meine Erfolgsgeschichte» überschrieben ist. Es enthält Text, Skizzen, Bilder. Thematisiert wird darin nicht nur, was im Atelier passiert, sondern alles, was das Vorankommen beeinflusst: Familie, Freunde und Freundinnen, die Freizeit, das eigene Befinden. «Es ist ein Comic über ihr Leben», sagt Wild. Am Standortgespräch nehmen auch die Eltern der Jugendlichen teil. «Man versteht vieles besser, wenn man erlebt, wie die Eltern ticken.» Zudem sei es für viele Eltern gut, wenn sie erführen, wo ihr Sohn oder ihre Tochter stünden und welche Perspektiven sie hätten.

Um diese zu verbessern, gehört zum Programm von Impulsis neben der praktischen Arbeit ein halber Tag Schule pro Woche. Vor allem Lücken in Mathematik und Deutsch werden in diesen Stunden geschlossen. «Softe» Kompetenzen wie das persönliche Auftreten, die Kommunikation, das Arbeitsverhalten und der Umgang mit der Zeit werden primär praktisch geübt. So haben etwa alle einen Badge, mit dem ihre Arbeitszeit erfasst wird. Sie können Überzeit machen oder Minusstunden ansammeln – und beides wieder kompensieren.

Alternativen aufzeigen

Wer mit so viel Freiheit nicht zurechtkommt, wird darauf angesprochen. In extremen Fällen habe es schon dazu geführt, dass jemand «aus dem Programm geflogen » sei, erzählt Michel Wild. Das passiert aber sehr selten, was auch mit der Unterstützung zu tun hat, die die Jugendlichen bekommen. Jede und jeder kann Einzelcoaching in Anspruch nehmen, in dem Lösungen für Schwierigkeiten aller Art gesucht werden. Ein wichtiges Thema sind dabei die eigenen Berufswünsche. Ein Grossteil der Praktikantinnen und Praktikanten im Grafikatelier haben einen gestalterischen Vorkurs absolviert und möchten eine Lehre als Grafikerin oder Grafiker machen. Allerdings sind die Lehrstellen dünn gesät. So dünn, dass sie nicht für alle reichen. Es gehe deshalb auch darum, aufzuzeigen, dass es im jeweiligen Berufsfeld – und in anderen – Alternativen gebe, betont der Atelierleiter. «Das Abschiednehmen vom Wunschberuf kann ein schmerzhafter Prozess sein.» Aber mit möglichem Happy End. «Wir hatten auch schon Teilnehmende, die Maler und glücklich geworden sind.»

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Kimja Süsstrunk (Mitte) macht die Arbeit im Grafikatelier viel Spass. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Unterschiedliche Strategien

Kimja Süsstrunk denkt noch nicht daran, ihren Traum von der Grafikerinnenlehre aufzugeben – trotz vieler Absagen. «Ich habe keinen Plan B», sagt die 17-Jährige mit einem Lächeln. «Ich gebe alles, um mein Ziel zu erreichen.» Sie fürchtet, sie würde ihre Energie verzetteln, wenn sie sich schon heute nach Alternativen umschauen würde. Kommt dazu, dass sie im Grafikatelier gemerkt hat, wie viel Spass es ihr macht, an echten Aufträgen zu arbeiten.

Eine andere Strategie verfolgt Robert Schori, der im Modeatelier arbeitet. Er hat wie Kimja Süsstrunk den gestalterischen Vorkurs absolviert und landete bei der Mode, weil das Grafikatelier voll war. Als Modeinteressierter habe er aber inzwischen viel Gefallen gefunden am textilen Gestalten, sagt er: «Ich möchte meine Kleider selbst nähen.» Beruflich kommen für ihn Ausbildungen infrage, die recht weit auseinanderliegen. Er bewirbt sich auf Lehrstellen als Interactive Media Designer und als Fachmann Gesundheit. Die Kunst des Bewerbens ist das Hauptthema der Gruppencoachings, für das jede Woche ein halber Tag eingesetzt wird. Für Lehrstellen im gestalterisch-künstlerischen Bereich reiche ein Lebenslauf mit Motivationsschreiben nicht, erklärt Michel Wild. Es brauche Kreativbewerbungen, um aus der Masse herauszustechen. Aufwendige Bastelarbeiten zum Beispiel, originell gestaltete Broschüren, Filme, Audiobotschaften und, und, und. Fast schon Pflicht ist eine Website, auf der die eigenen Arbeiten präsentiert werden. Sie ersetzt die Mappe von früher. Kimja Süsstrunk ist dankbar, dass sie beim Erarbeiten ihrer Bewerbungsunterlagen von Impulsis mehr Unterstützung und Zeit bekommt als während des Vorkurses. Dank der Aufträge von «echten» Kunden ist ihr Portfolio zudem dicker und aussagekräftiger geworden.

Aktuell arbeitet sie an einer Postkartenserie für die Buchhandlung «Kapitel 10» in Zürich Höngg mit. Das Grafikatelier hat den Auftritt des Ladens vom Schaufenster über die Website bis zu Inseraten gestaltet. Inhaber Andreas Pätzold ist ein Freund von Michel Wild und wurde so auf Impulsis aufmerksam. Als Erstes liess er das Logo gestalten. Die Jugendlichen machten ihm 20 Vorschläge, von ganz wild bis sehr diskret. In mehreren Runden kristallisierte sich die Lösung heraus, die schliesslich zum grafischen Markenzeichen des «Kapitel 10» wurde. Pätzold war mit dem Prozess und dem Resultat «extrem zufrieden», wie er sagt. Die Art, wie seine Wünsche aufgenommen worden seien, die Inputs und die Zuverlässigkeit des Ateliers hätten ihn sehr überzeugt. Dass er das Projekt eine gute Sache finde, sei ein weiteres, aber mitnichten das wichtigste Argument.

Qualität überzeugt

Pätzold sei ein typischer Kunde für die Impulsis-Ateliers, sagt Michel Wild. Oft würden Auftraggeber durch die persönlichen Netzwerke des Teams oder durch Mundwerbung auf das Angebot aufmerksam. «Viele kommen zu uns, weil ihnen das Programm gefällt, und bleiben, weil die Qualität sie überzeugt.» Wichtig sei, dass es nicht zu sehr eile mit einem Auftrag. «Wir brauchen etwas länger, sind dafür aber etwas billiger als ‹normale› Anbieter. » Die Preise seien aber nicht so tief, dass die Ateliers zur wettbewerbsverzerrenden Konkurrenz für die Privatwirtschaft würden. Bisher sei es so gelungen, immer genügend Aufträge zu generieren, um die Jugendlichen zu beschäftigen, damit sie jene Fähigkeiten erwerben können, die ihnen den Schritt in die Arbeitswelt ermöglichen. Schliesslich ist das wichtigste Erfolgskriterium für die Impulsis- Ateliers ihre «Integrationsleistung». Letztes Jahr fanden von 33 Teilnehmenden 23 eine Lehrstelle. Sieben machten anschliessend ein anderes Praktikum oder den gestalterischen Vorkurs, lediglich drei hatten keinen Anschluss. Diese Zahlen, stellt Michel Wild fest, seien vergleichbar mit jenen der Jahre zuvor.

Autor: Andreas Minder, Fotos: Hannes Heinzer

Verwenden Sie die Akkordeon-Bedienelemente, um die Sichtbarkeit der jeweiligen Panels (unterhalb der Bedienelemente) umzuschalten.

Der Verein Impulsis ging 2007 aus den beiden Organisationen «Nahtstelle» und «Verein Job» hervor. Mit verschiedenen Angeboten unterstützt die Organisation jährlich 500 bis 600 junge Menschen auf dem Weg zu einer Lehr- oder Arbeitsstelle. Dazu gehören seit diesem Sommer ein Grafik- und ein Modeatelier, in dem Praktikantinnen und Praktikanten zusammen mit Fachleuten an Aufträgen von externen Kunden arbeiten. Zuvor wurde das Programm durch den Verein von «Access – bridge to work» geführt. Entstanden ist das Angebot im Jahr 2004. Das Grafikatelier hat 20 Plätze, das Modeatelier 10. Sie richten sich an Jugendliche im Alter zwischen 15 und 24 Jahren, die trotz vieler Bewerbungsbemühungen keine Lehrstelle fanden und sich deshalb im Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) anmelden mussten. Das Programm dauert in der Regel ein Jahr und setzt sich aus zwei Motivationssemestern zusammen. Ziel dieses Brückenangebots ist es, dass die Jugendlichen einen Lehrvertrag oder eine andere Anschlusslösung finden.

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