«Wir müssen immer alles überdenken»

Für Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung stellt die Corona-Krise eine besondere Herausforderung dar. Wie sie an ihrer Schule den schwierigen Alltag meistert, erzählt Jrène Dubs, Leiterin der Heilpädagogischen Schule Affoltern.

Interview: Jacqueline Olivier, Fotos: Dieter Seeger

Wie kommen Sie momentan zurecht?

Mit den Kindern geht es zurzeit gut. Im Team ist jedoch eine gewisse Verunsicherung vorhanden, weil die Regeln laufend ändern. Während Regelschulen diese jeweils mit einem Brief an die Eltern den Kindern mitgeben können, müssen wir immer alles überdenken: Können wir diese Regeln umsetzen? Wie können wir sie umsetzen? Wo braucht es Anpassungen? Und kaum sind Lösungen gefunden, gibt es wieder neue Regeln.

Was ist besonders schwierig?

Es gibt Kinder, die die Maske gleich wieder ausziehen oder sie überhaupt verweigern. Abstandhalten ist kaum möglich. Vielen Kindern müssen wir zum Beispiel beim Essen helfen, das geht gar nicht anders. Kommt hinzu: Unsere Schule befindet sich in einem Regelschulhaus der Primarstufe, wir haben aber auch Oberstufenschüler. Für diese gilt eine Maskenpflicht, für die Primarschüler der Regelschule galt diese zunächst nicht. Wir haben ausserdem Kinder mit Autismus. Für sie ist es ganz schwierig, wenn sich die Regeln immer wieder ändern.

Wie gehen die Kinder mit dem Thema Corona überhaupt um?

Zu Beginn hatten sie oft Angst. Vielfach hing es damit zusammen, wie die Eltern damit umgingen. Es gab Eltern, die grosse Angst hatten um ihre Kinder. Wir haben auch Risiko-Kinder, deren Eltern waren natürlich besonders besorgt. Das hat sich auf die Kinder übertragen, das heisst, wir mussten mit ihnen viel über Corona reden und versuchen, es ihnen zu erklären. Es war nicht einfach, sie überhaupt zu erreichen und zu vermeiden, dass sie in Panik ausbrachen.

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Für Jrène Dubs, Leiterin der Heilpädagogischen Schule Affoltern, bedeuten neue Corona-Regeln jedes Mal, die Situation mit ihrem Team wieder ganz neu überdenken zu müssen. Quelle: Foto von Dieter Seeger

Im Herbst haben Sie die Schule für zwei Wochen geschlossen. Was ist passiert?

Innerhalb von zwei Wochen ist die Hälfte unserer 20 Mitarbeitenden krank geworden. Darum haben wir uns dafür eingesetzt, die Schule für zwei Wochen schliessen zu können. So hat sich die Situation beruhigt, seither hatten wir keinen Corona-Fall mehr. Wie es zu dieser Häufung der Ansteckungen gekommen ist, wissen wir nicht, wir haben unser Schutzkonzept immer eingehalten. Deshalb habe ich dieses nun von einer externen Fachperson vom Zentrum für Arbeitsmedizin, Ergonomie und Hygiene überprüfen lassen.

Welche Tipps konnte Ihnen diese Fachperson geben?

Der Berater hat mir gesagt: Immer wenn es kuschlig wird, wird es gefährlich. Das heisst, wenn wir das Gefühl haben, die Situation sei entspannt, müssen wir sie überprüfen, weil man unachtsam werden könnte. Und grundsätzlich gilt: Je weniger Gegenstände, desto besser. Kinder sollten ihre Sachen auf ihrem Pult haben – ihre Farbstifte, ihre Malblätter, was auch immer. Das bedeutet für uns, dass wir pädagogisch Abstriche machen müssen.

Inwiefern?

Bei uns steht der handlungsorientierte Unterricht im Zentrum: Unsere Kinder sitzen nicht einfach am Pult und arbeiten, sondern sie müssen sich bewegen, Dinge anfassen und Handlungen erfahren können. Wir fordern sie zum Beispiel auf, sich zu überlegen, wo ihre Sachen sind, und sie selbst zu holen. Das geht nun nicht mehr. Am Kochtag werden wir auch nicht mehr mit den Kindern einkaufen gehen, was wir normalerweise tun, damit sie das üben können. Stattdessen wird die Lehrerin allein einkaufen. In den Therapiestunden müssen wir ebenfalls vermehrt aufpassen, denn auch die Therapeutinnen arbeiten viel mit Gegenständen. Die muss man immer gleich wieder desinfizieren.

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Nach einer Schulschliessung im Herbst wegen mehrerer Corona-Fälle im Team liess Jrène Dubs ihr Schutzkonzept von einer externen Fachperson prüfen. Quelle: Foto von Dieter Seeger

Und was ist mit dem Mittagstisch, den Ihre Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der Primarschule besuchen?

Wir haben bereits getrennte Tische. Trotzdem können wir noch gewisse Dinge verbessern, zum Beispiel das Essen zudecken, Gläser umgekehrt hinstellen, Besteck eingepackt hinlegen und so weiter. Ich werde dies nun mit der Leitung Mittagstisch der Regelschule anschauen, von diesen Ratschlägen wird also auch sie profitieren.

Für Ihre Oberstufenschülerinnen und -schüler steht der Übertritt in eine Lehre oder eine Beschäftigung bevor. Ist dieser nun wegen Corona erschwert?

Da wir eine kleine Schule sind – zurzeit haben wir 22 Schülerinnen und Schüler – befinden sich jeweils nur einzelne in der Berufsfindungsphase. Einige können eine Praktische Ausbildung PrA mit Aussicht auf eine Grundbildung mit Eidgenössischem Berufsattest absolvieren, andere wechseln in einen geschützten Betrieb. Wie Regelschüler gehen sie schnuppern oder machen ein Praktikum. Für diese Plätze bezahlen wir, das ist so geregelt. Natürlich macht es die aktuelle Krise trotzdem nicht einfacher, solche Plätze zu finden, aber wir haben zum Glück ein gutes Netzwerk von Betrieben, mit denen wir auch jetzt individuelle Lösungen finden können. Für grössere Heilpädagogische Schulen ist es momentan aber sicher schwierig, genügend Plätze für ihre Jugendlichen zu finden.

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