«Man muss die Fünf auch mal gerade sein lassen»

Geht es bei der Bekämpfung von Corona um Gesundheit oder um Sicherheit? Wohl um beides, meint Dagmar Müller, Leiterin Prävention und Sicherheit beim Mittelschul- und Berufsbildungsamt.

Text: Marianne Koller, Fotos: Dieter Seeger

Sie sind Leiterin Prävention und Sicherheit beim Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA). Was gehört zu Ihren Aufgaben?

Ich bin zuständig für die Umsetzung von gesundheitsfördernden, suchtpräventiven und gewaltpräventiven Massnahmen. Wir beraten Schulen einerseits inhaltlich und fachlich bei Projekten, die sie umsetzen wollen, und andererseits unterstützen wir auch finanziell. Wir sind gut vernetzt mit allen Akteuren. Wir pflegen auch ein Netzwerk von Kontaktlehrpersonen Suchtprävention und Gesundheitsförderung. Ebenfalls gibt es ein Netzwerk von Sicherheitsbeauftragten an den Schulen. Da geht es sowohl um bauliche Massnahmen – etwa um Fluchtwege – als auch um Pädagogisches wie Krisenberatung bei Mobbing.

Wo gehört denn das Thema Corona hin – in den Gesundheitsteil oder in den Sicherheitsteil?

Das haben wir uns noch gar nie so genau überlegt. Pandemiebekämpfung zählt eigentlich zum Sicherheitsteil. Aber es geht ja auch um Prävention und Gesundheitsschutz. Es betrifft also beide Bereiche, je nach Fokus, den man legt.

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihre Arbeit?

Nun, ich habe meine Stelle im Frühling angetreten Und seither bin ich – wie so viele – etwas monothematisch unterwegs. Gesundheitsförderungsprojekte konnten zunächst gar nicht mehr stattfinden. Aber wir haben später sowohl Schulen als auch Anbieter ermuntert, nicht alles zu streichen, sondern mindestens klassenweise oder online etwas anzubieten und neue Formate zu entwickeln. Die Anbieter waren da zum Teil sehr flexibel. So gab es diverse Angebote zu sexueller Gesundheit, Fahrtüchtigkeit, Suchtprävention und Alkoholprävention. Wir haben auch Newsletter verschickt mit Ideen zur Gesundheitsförderung im Fernunterricht.

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Dagmar Müller und ihr Team versuchen, Schulleitungen bei ihren Problemen rund um Corona zu unterstützen, ihnen aber auch die Möglichkeit zu geben, selbst Lösungen zu finden. Quelle: Foto von Dieter Seeger

Die Schulen mussten ihre Schutzkonzepte laufend anpassen. Wie waren Sie da involviert?

Es gab ja immer wieder neue Vorgaben. Wir haben versucht, die Schulen so gut wie möglich zu unterstützen, ihnen aus abstrakten Verordnungen konkrete Vorgaben abzuleiten. Wir haben beispielsweise früh empfohlen, in Mensen Klassenzonen einzurichten und gestaffelt zu essen. Das war für die Schulen mit einem riesigen Aufwand verbunden, da sie Stundenpläne umstellen mussten. Wir haben den Schulleitungen auch geraten, einen Krisenstab einzusetzen.

Was ist der Vorteil eines Krisenstabes?

Wenn an einer Schule ein Corona-Fall auftrat, hat uns in der Regel die Schulleitung informiert. Nach den Herbstferien sind die Fallzahlen stark gestiegen, von etwa 50 pro Woche auf 300. Da war es wichtig, zu delegieren. Mit einem Krisenstab ist dies möglich. Die Schulleitungen hatten den Anspruch, den Schutz zu gewährleisten und für die ganze Schule zu sorgen. Dadurch hat ihre eigene Belastung stark zugenommen. Als Aussenstehende erkennt man das besser. Als Amt haben wir auch eine Aufsichtsfunktion und versuchen in einem solchen Fall, Entlastungsmöglichkeiten aufzuzeigen und Unterstützung zu bieten.

Wie sehen diese Unterstützungsmöglichkeiten aus?

Sämtliche Anfragen zum Contact Tracing wurden möglichst schnell beantwortet, da bestand ein grosser Handlungsdruck. Wir dehnten unsere Arbeitszeiten entsprechend aus. Aber auch andere Beratungsanfragen wurden zeitnah telefonisch sowie per Mail beantwortet, etwa zum Sportunterricht, zu Veranstaltungen oder zu den Schutzmassnahmen. Wir standen auch für Mediationen zur Verfügung. Denn es ist schon eine schwierige Situation, wenn es in einer Familie eine vulnerable Person gibt und Schülerinnen oder Schüler dadurch in einen Loyalitätskonflikt kommen. Sie geraten psychisch unter Druck, weil sie ihre Eltern oder einen Elternteil gefährden könnten.

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«Das Füllen von Stofflücken soll nicht den Schulalltag diktieren», rät Präventionsfachfrau Dagmar Müller. Quelle: Foto von Dieter Seeger

Wie haben Sie und ihr Team darauf reagiert?

Wir suchten nach individuellen Lösungen und sorgten dafür, dass die Jugendlichen trotzdem in die Schule gehen konnten, damit das Bildungsrecht gewahrt wird. In solchen Gesprächen ging es dann darum, herauszufinden, mit welchen Massnahmen die grösstmögliche Sicherheit erreicht werden kann. Manchmal wurde jemand ans offene Fenster gesetzt, manchmal gab es eine Teildispens vom Sportunterricht, manchmal eine Maskenpflicht – noch bevor diese offiziell wurde. Wir haben immer versucht, die Schulleitungen bei ihren Problemen rund um Corona zu unterstützen, ihnen aber auch die Möglichkeit zu geben, selbst Lösungen zu finden. Auf diese Weise konnten wir auch viele gute Ideen vonseiten einer Schule aufgreifen und für andere Schulen nutzbar machen.

Gibt es für Sie auch Positives aus der Coronazeit?

Ja, beispielsweise die Erkenntnis von Jugendlichen, dass Schulbesuch nicht einfach selbstverständlich ist. Dass sie es schätzen, in die Schule gehen können. Auch die Zusammenarbeit über Hierarchiestufen hinweg hat bestens geklappt. Man war hilfsbereit und solidarisch und hat erkannt, dass diese Krise sonst nicht zu bewältigen ist. Ich glaube, dass Lehrpersonen und Schulleitungen sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen. In der Krise muss man aber die Fünf auch mal gerade sein lassen – bei sich und bei den Schülerinnen und Schülern. So haben wir in Mitteilungen an die Schulleitungen immer wieder darauf hingewiesen, die psychischen Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler nicht zu vergessen. Wir rieten, Bewältigungserfahrungen zu schaffen und – wo es das Schutzkonzept zulässt – auch Erlebnisse. Das Füllen von Stofflücken soll nicht den Schulalltag diktieren.

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